Achtsamkeit oder Garten?

Neulich erzählte mir ein ehemaliger Kursteilnehmer, dass er keine Zeit mehr zum Meditieren findet, weil sein großer Garten aktuell ungemein viel Pflege braucht. Er hat so viel zu tun, dass er für das Üben von Achtsamkeit keine Muße hat. Andererseits vermisst er seine morgendliche Meditations-Routine. Während des MBSR-Kurses hat er sich jeden Morgen Zeit für die achtsame Sitzmeditation, den Bodyscan oder Yoga genommen. Das hat ihm gutgetan. 

 

Wir überlegen gemeinsam, ob er sich nicht vielleicht doch ein kleines Zeitfenster dafür verschaffen könnte. Warum nicht einmal ausprobieren, die nötige Gartenarbeit mit dem Üben von Achtsamkeit zu verbinden? Alle körperlichen Tätigkeiten im Haushalt und im Garten eignen sich hervorragend dazu. Im MBSR-Training bezeichnen wir dies als die „informelle Achtsamkeitsspraxis“. In Klöstern ist die Pflege von Haus und Garten seit jeher eine achtsamkeitsbasierte Meditationsübung.

 

Für eine selbst gewählte, begrenzte Zeitspanne (ca. 5 - 20 Minuten) wird eine bestimmte Tätigkeit ganz bewusst mit Achtsamkeit ausgeführt. So, wie wir es im MBSR-Kurs in der formalen Meditation üben: Sich ganz auf den gegenwärtigen Augenblick konzentrieren. Sobald die Gedanken abschweifen, wieder geduldig und freundlich zum gewählten Konzentrationsobjekt zurückkehren.

 

Auch Gartenarbeiten wie Rasen mähen, Laub harken, Unkraut jäten oder Pflanzen setzen lassen sich mit Achtsamkeit begleiten. Zum Beispiel kann man das Eingraben von Blumenzwiebeln mit allen Sinnen aufmerksam wahrnehmen. Was genau nimmst Du wahr? Was spürst du im Körper? Verändert sich etwas? Wie lange hält diese Wahrnehmung an? Wann kommt sie, wann geht sie wieder? Was ist dann wahrnehmbar? 

 

Je nachdem, wie viel Zeit du dir lassen möchtest, kann das sehr ausführlich sein: Wie fühlt sich die einzelne Knolle in der Hand an? Ist sie leicht oder schwer, fest oder weich? Wie sieht sie aus, wo sind Schatten, wo ist Licht? Tauchen Geräusche auf? Sind möglicherweise Gerüche wahrnehmbar? Gedanken und/oder Emotionen? Oder, wenn Du magst, spüre in deinen Körper: Wie ist deine Haltung? Wie fühlt es sich an, die Zwiebel in den Boden zu legen, sie mit Erde zu bedecken.

 

Wohin du auch deine Aufmerksamkeit richtest und was du dabei empfindest, ist in Ordnung. Genau das ist dein Moment der Achtsamkeit und genau der ist kostbar. Es geht nicht darum, alles zu bemerken, sondern festzustellen, was gerade da ist, was von selbst auftaucht. Und wenn Du gar nichts wahrnimmst oder deine Gedanken hartnäckig abschweifen, ist schon die Tatsache, dies zu bemerken, ein wertvoller Moment von Achtsamkeit.

 

Im MBSR-Kurs üben wir diese wache, konzentrierte Aufmerksamkeit mit allen Sinnen. Nach dem Kurs gilt es dann, ganz kreativ weitere alltägliche Bereiche für die informelle Achtsamkeitspraxis zu finden. Sie schult die Konzentration und festigt die Fähigkeit zur Achtsamkeit. Mit kontinuierlichem Üben wird sie sich dann automatisch in vielen Bereichen deines Alltags einstellen.

 

Ein Tipp für GartenfreundInnen: Vielleicht macht die Arbeit mit dieser Art von Achtsamkeitstraining sogar noch mehr Freude!